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Liebe
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LINDA

Titel: LINDA erschienen Dezember 2012

Autor: Mathias Schröder

Leseprobe:

1.
OKTOBER 1967

Mister Bedford kehrte heim im Mai fünfundvierzig, wohnte allein im Haus seiner verstorbenen Eltern und sprach, so später meine Mutter, selten ein Wort über den Krieg. Er strich sein Firmenschild neu, weiße Blockschrift auf schwarzem Grund, Bedfords Bodyshop, und mied fortan, was ihm wichtig gewesen war: Kirche, Frauen und Geselligkeit.
Dem hättest du Feuer unter den Hintern legen können, scherzten die, die einst seine Freunde waren, der hätte nicht geschrien. Zwar sah man ihn gelegent­lich, schwarz gekleidet, mit goldener Uhrkette, im Grant Hotel essen.
»Hello, alter Junge, komm rüber und trink einen mit!« und sah ihn mit dem Kopf nicken und sitzen bleiben auf seinem Stuhl.

Grau war sein Haar, als er im Spätsommer sechsundvierzig beim Friedensrichter anklopfte, um das Aufgebot zu erbitten für sich und seine zukünftige Frau, ein Mädchen namens Nancy Telfert. Niemand kannte sie; nur er wusste, woher sie kam, nämlich aus New Jersey.
Für K-Town blieb meine Mutter eine Fremde mit Yankee-Akzent. Jung und scheu war sie plötzlich da im Bedfordschen Haus in der Sunken Road und brachte Leben in die Einsiedelei. Was denen, die Clinton, meinen Vater, kannten, glatt über die Lippen gegangen war: »Er ist ein Menschenfeind geworden«, das traf gleichsam über Nacht nicht mehr zu. Sah man ihn doch jetzt mit seiner jungen Frau abends im Grant Hotel erst bürgerlich speisen, dann im Bar­licht Whisky trinken und mit ihr tanzen in seiner stocksteifen Art. Und man hörte ihn sogar Worte sagen wie: Liebe, Traum und Glück, wobei er Nancy auf die Lippen küsste, sich den Mund abwischte, den Deckel seiner goldenen Uhr aufspringen ließ und verstohlen in die Runde schaute. Etwas Unnahbares hatte er noch immer. Aber jetzt, so sagte Mutter, die stets liebevoll an dieses erste Jahr ihrer Ehe zurück­dachte, jetzt war es eine Unnahbarkeit für zwei und, wie man von Doktor Mustofi erfuhr, der seine Schweige­pflicht brach, bald auch für drei.
»Er wünscht sich eine Tochter«, lallte er, und McGovern lallte über den Tisch zurück:
»Das ist des Herrn Wille nicht! Nur der Gläubige kann Berge versetzen. Den Bedford habe ich seit Kriegsende nicht mehr in meiner Kirche knien sehn!«
Im zweiten Jahr ihrer Ehe gebar Nancy zu Hause ihr erstes und einziges Kind, einen Sohn. Ich widerstand den Presswehen, der Geburtszange nicht und riss Mutter, noch ehe mein erster Atemschrei ertönt war, so lebensgefährlich auf, dass sie ohne Doktor Mustofis Hilfe an mir verblutet wäre. Mein linker Fuß war verklumpt.
Sie gaben mir den Namen Clinton Livingstone und riefen mich Clint. Das war meines Vaters Rufname gewesen und der meines Großvaters auch.

In diesen Wochen soll mein Vater einen sichtbaren Abstand genommen haben von Haus, Kind und Frau, so, als hätte sie irgendetwas nicht recht gemacht, ein vielleicht nur in seinem Kopf bestehendes Versprechen nicht eingelöst.
Nun hockte er nach Geschäftsschluss im Latch String, einer Kneipe für Tagediebe.
Mutter war sicher zerbrechlich, aber warmherzig war ihre Zuneigung, stark ihre Geduld.
Die Abneigung meines Vaters wuchs mit mir. Krabbelte ich doch, als ich längst auf zwei Beinen hätte laufen sollen wie andere Kinder auch, beharrlich auf allen Vieren durch den Garten und versuchte immer wieder, den Fuß anzubeißen. Mutter lächelte mir zu, und in der flimmernden Luft, manchmal zum Greifen nahe, mal vom Wind gegen die Baumblüte davongeschaukelt, sah ich irgendwann einen großen bunten Schmetterling.
Rechten Fuß vor, linkes Bein nachgezogen, so stolperte ich ihm hinterher und hörte Mutter rufen: »Junge, du läufst ja!« und ich sah den Schmetterling davonfliegen über den Bretterzaun, wollte weinen und fühlte Mutters Arme um meinen Hals. Ich liebte sie sehr in diesem Augenblick.
Der Gang blieb mir. Die Kinder der Sunken Road, allen voran Tim Belborn, äfften mich nach, übten und wetteiferten in diesem Kameltritt, wie Tim das genannt hatte.

11.
OKTOBER 1967

Es war mein freier Abend. Ich humpelte die Marengostraße hinunter und trat auf meine Gedanken. Entfernungen hasse ich. Manchmal bleiben Leute stehen, mustern eindringlich den schlaffen Blätterflor der Eukalyptusbäume oder eine Katze, die mir voraus in die Büsche flieht, aber ich weiß und sehe ihren Blick in den Augenwinkeln und ahne, was sie denken. Ich empfinde, dass sich mir ganz langsam die Haut ablösen könnte und an irgendeiner Stelle plötzlich rotes Fleisch für jedermann sichtbar würde.
Über der Bar sah ich auf der Neonreklame den blauen Kanarienvogel, ich zählte mit: Eins, zwei, drei, vier, …, der Ast glühte, das Vögelchen reckte den Hals, blähte die Kehle, und schwarze Töne tanzten aus seinem goldenen Schnabel.
Wie immer saßen ein paar Gäste in den Nischen, Bruce hatte ein piekfeines Dinnerjackett an und servierte an den Tischen. Joe Schmahl hockte träge hinter der Bar. Ich ging rein.
»Guten Abend«, sagte ich, Joe hob den Kopf und zwinkerte mir zu.
»Hello, Clint!«, sagte noch eine andere Stimme. Es war Linda.
Ich setzte mich und ließ einen Hocker zwischen uns frei.
»Angst?«
Sie lächelte spöttisch. »Nein!«
Schon sitze ich neben ihr. Linda und ich an der Bar.
»Champagner, Joe, bitte!«
Das Wort macht trunken. Ja, es passt zu Linda, dass sie Champagner trinkt. Ihr nackter Arm berührt meine Haut, und ich spüre ihre Körperwärme und sehe, wie sie atmet. Ihre Brüste heben und senken sich. Sie lacht mich an und legt ihre Hand auf meine. »Das ist nett von dir, Clint, mit dem Champagner!«
Wir trinken, die Hand lässt sie liegen, und plötzlich schaut sie mich lange und aufmerksam an. Eine übermütige Kopfdrehung, die roten Haare entblößen die Stirn. Sie lacht mit den Augen, Lippen, Zähnen und dem lustigen Fältchen auf ihrer Nasenspitze.
Sie ist schön. Sie ist lebendig. Sie macht mich froh. »Champagner, Joe! Gib uns die ganze Flasche!«
Hat er mich nicht gehört? Die anderen tuscheln und feixen. Joe lacht lauthals in unsere Richtung.
»Lass nur«, sagt Linda, »du bist ein feiner Kerl, Clint, immer ruhig, immer gelassen, kannst du überhaupt böse sein?«
Sie legt ihren Arm um meinen Hals und rückt näher an mich heran. Wieder lasse ich Champagner kommen. Da nimmt Harry Burns die Flasche, schenkt randvoll ein und lässt es seelenruhig über den Rand ihres Glases laufen.
»Pass auf, Clint!«
Er beugt sich zu mir und lächelt gemein: »Sie versäuft dir den Wochenlohn, diese stadtbekannte Schnepfe!«
Ich sehe Linda ausholen, in sein Gesicht schlagen und höre es klatschen. »Lakai!« Ich halte den Atem an und balle die Fäuste. Joe Schmahl springt dazwischen und schreit: »Keinen Ärger hier!«
»Ich gehe!«
Linda ist aufgestanden.
»Und ich gehe mit, für immer!«, rufe ich und höre Harry noch wütend sagen:
»Der glaubt doch tatsächlich, er hätte was zu melden bei ihr, der Gockel! Kikeriki!«
»Mach dir nichts draus«, sagt Linda, »so sind die meisten Menschen. Selbstsüchtig, neidisch und brutal, das weißt du doch! Vergiss es!«
Linda schmiegt sich an, und wir gehen durch eine sternklare, windstille Dunkelheit hinunter zu jenem Stück an der Küste, das wegen der Felsen, der starken Brandung und seiner schneidenden Muscheln gemie­den wird.
Ich suchte und fand keine Worte. Schweigend kamen wir zum Strand. Linda breitete ihren Mantel aus. Dann lag sie auf dem Rücken. Bis zu den Füßen gespannt horchte ich in die Nacht. Eine Möwe schrie und schrie noch mal, irgendwo draußen über den Wassern.
Da fühlte ich mich ganz leicht, sah Linda an, berührte ihr Gesicht mit den Fingerspitzen.
»Komm!«, sagte sie.
Wir küssten uns, und ihre Zungenspitze schob sich zwischen meine Lippen. Ich schloss die Augen.
»Komm!« ein Laut, der mir davonflog. Im Nu waren wir nackt. Ihre Hände waren behutsam. Ich sank zwischen ihren Beinen nieder und drang in sie ein. Ich höre Wellen gegen Klippen und Riffe brechen, dann fühle ich meine Hände im feuchten Sand, Küsse und kurze Bisse, einen schmerzhaften Drang im Unterleib und höre Linda schreien und schreie mit und hätte sie erwürgen können aus Liebe. Ich küsste sie mit raschen, flachen Küssen, schmeckte Salz und Schweiß und empfand Dankbarkeit und Trauer.
Fernab im Meer unter einem kaltlichtigen Mond sah ich zerklüftete Felsen aus den Wassern ragen.
Sie lachte übermütig. »Clint?«
»Ja.«
»Ich bin die erste Frau, mit der du geschlafen hast, gib’s zu?«
»Ja«, sagte ich, »ja, ja, ja! Und ich wünschte, wir könn­ten zusammenbleiben!«
»Wer weiß?«, antwortete sie und küsste mich.
Spätnachts fuhr sie in ihrem Chevrolet davon.

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ISBN: 987-3-9809144-3-7

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